Hallo Michael, On 02/24/2018 09:53 AM, Dr. Michael Stehmann wrote: > mir erscheinen Deine Argumente zu negativ. Einen freiheitsliebenden > Menschen mit einem körperlich behinderten zu vergleichen, erscheint mir > in verschiedener Hinsicht "schräg" (Inklusion für Freiheitsfreunde?).
das wäre die (zugegeben mögliche) negative Les-Art meiner Aussage. Ich habe allerdings bewusst nicht das Wort "Behinderung" oder Abwandlungen davon (wie "behindertengerecht") genutzt, sondern "barrierefrei" gewählt, um eben das meiner Meinung nach zentrale positive Anliegen Freier Software herauszustellen: Freie Software erzeugt auf vielerlei Ebenen keine (digitalen) Barrieren und User Freier Software sind diejenigen, die sich für eine grundsätzliche Barrierefreiheit ("grundsätzlich" in Form von "Offenheit") im digitalen Raum einsetzen. Es mag sein, dass "barrierefrei" aufgrund der Konnotation auch nicht die beste Wortwahl ist, vielleicht wäre besser: "Freie Software schließt niemanden aus", aber die Wortwahl passte in folgender Überlegung: Um zu verdeutlichen, was digitale Barrieren sind, braucht es allgemein bekannte Bilder wie die barrierefreien Zugänge in öffentlichen Gebäude, die jede*r als selbstverständlich empfindet und kennt. Diese Selbstverständlichkeit für Barrierefreiheit im "Realraum" ist deswegen wichtig, weil das erste Argument gegen Freie Software meist die Frage ist, wieviele eine Freie Software X überhaupt nutzen würden. Anhand meines "schrägen" Beispiels lässt sich dann wunderbar aufzeigen, dass diese Frage in einer freiheitlichen Gesellschaft völlig unangebracht ist, weil man dann auch fragen müsste, ob sich die Investition für einen barrierefreien Zugang in Anbetracht der möglichen "Nutzerzahlen" überhaupt lohnt. > Wenn man Alternativen beispielsweise zu Whatsapp propagiert, sollte man > deren Vorzüge herausstellen, wozu dann auch Unabhängigkeit und > Datenschutz gehören können. Unabhängigkeit wäre vielleicht noch ein Argument, aber aus meinen Erfahrungen mit IT-Leiter*innen kommt dann meist die Antwort, dass man lieber abhängig von einem Großkonzern sei, den man juristisch belangen könnte, als von einem Community-Projekt. Das Argument verwende ich daher nicht mehr, weil man sich damit in Sackgassen navigiert, aus denen man schwer wieder herauskommt (oder es endet damit, sich gegenseitig irgendwelche Statistiken oder Studien vorzuhalten, die eh niemand nachvollziehen kann oder will). Zum Datenschutz: falls Du juristischen Datenschutz meintest, ist das für mich ebenfalls kein Argument mehr, das ich in meinen Diskussionen anführe: das Wort zu erwähnen reicht schon und in die Antwort ist: "Haben wir alles prüfen lassen, unser*e Datenschutzbeauftragte*r hat das durchgewunken - juristisch ist das sauber!" -> Schachmatt. Für mich ist "Datenschutz" spätestens seit Caspar Bowdens (leider sehr dichtem) CCC-Vortrag "The Cloud Conspiracy" ( https://media.ccc.de/v/31c3_-_6195_-_en_-_saal_g_-_201412272145_-_the_cloud_conspiracy_2008-2014_-_caspar_bowden ) kein Argument mehr, denn platt formuliert: Im Datenschutz wird das verankert, was die Konzerne vorher festgelegt haben. Das kommt mir allerdings auch insofern gelegen, weil Datenschutz sich auf Texte bezieht, die für eine gesellschaftliche Elite geschrieben wurden, zu der ich nicht gehöre -> taktisch unkluges Terrain für mich. Das einzige Argument, mit dem ich erfolgreich überzeugen konnte, war das, was in der "westlichen Wertegemeinschaft" mit unglaublicher Scheinheiligkeit immer als Propaganda-Begriff verwendet wird (und zwar gesamtgesellschaftlich): der Bezug auf höhere Werte, an deren Spitze die "Freiheit" steht... > (Im Übrigen bin ich leider zu der Erkenntnis gelangt, dass man mit einer > totalitären Regierungsform zu wenige abschrecken kann, weil sich zu > viele danach sehnen.) ...weswegen ich Deine Aussage nicht ganz nachvollziehen kann. Wann immer auf ARTE mal wieder eine dieser wunderbar suggestiven Nordkorea-Dokus läuft, heißt es am nächsten Tag "Hast du die Nord-Korea-Doku gesehen? So krass.. wie kann man dort nur leben, unglaublich!". Will sagen: mit diesem ständigen Bezug auf den höheren Wert der Freiheit wird mit dem Finger auf Russland, China und Nord-Korea gezeigt - alles fest in den Köpfen verankerte Symbole der Unfreiheit. Da also "Freiheitsliebe" das Argument ist, was in allen Köpfen verankert ist (obgleich zwecks Ausbeutung natürlich seduktiv unterwandert), sage ich: "Wunderbar, dann lasst uns doch mal schauen, ob unser digitaler Raum diesen freiheitlichen Ansprüchen gerecht wird oder nicht doch eher einem "digitalen Nord-Korea" gleicht." Dieses (wieder "schräge") Argument ist das einzige, was "gezündet" und dazu bewegt hat, dass meine Mitmenschen ihr "iPhone" und ihre "Alexa" plötzlich anfingen, mit anderen Augen zu bewerten (und "funktioniert gut" plötzlich nur noch ein Kriterium neben vielen überhaupt nicht reflektierten war). _Danach_ konnte ich mich mit meinen Mitmenschen meiner Meinung nach erst sinnvoll darüber unterhalten, was Datenschutz eigentlich sein sollte (und aktuell nicht ist), von wem genau man unabghängig sein sollte bzw. sich schützen sollte und welchen Stellenwert Usability/Benutzungskomfort in einer freiheitlichen Perspektive haben sollte (jedenfalls nicht ernsthaft den obersten). Das deckt sich meiner Meinung auch wunderbar mit den 4 Freiheiten: da geht es nicht um Unabhängigkeit, nicht um Datenschutz, nicht um IT-Sicherheit, sondern darum, Barrieren abzubauen, indem "Zugang" zu allem dauerhaft gewährleistet wird und sich deswegen sinnvoll über andere (keineswegs völlig unwichtige) Bewertungskategorien von Software unterhalten werden kann - aber nicht andersrum. Schönes Wochenende Roland
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