Hi Carsten;

Am 10.11.20 um 17:50 schrieb Carsten Knoll:

Nicht provozierend gemeint: Woraus schließt Du, dass das
funktionieren könnte?

Für mich ist das ziemlich naheliegend. Die Diskussion um die
Corona-Warn-App (Off-Topic-Alarmstufe Gelb) hat meiner Meinung nach hier
schon eine gute Richtung vorgelegt:


Glaubst Du, dass außerhalb eines informierten (kleinen) Kreises der Umstand, dass die Anwendung FLOSS ist, merklich zu Vertrauen in das Tool beigetragen hat? Dorth habe ich meine Zweifel.



Ich will bei möglichst vielen Menschen zwei Aha-Effekte auslösen: 1. "
Stimmt, für Wahlen sind Verschlüsselung und Anonymität wichtig." Als
Gegenpol zu "Ich habe doch nichts zu verbergen!" und 2. "Achso, mit gpg
kann ich also sicher verschlüsseln und mit tor anonymisieren. Gut zu
wissen."


Möglich, ja. Du hast aber mindestens zwei andere Möglichkeiten:

(b) Den "Instagram"-Effekt: Die Leute nehmen das Produkt, das Ergebnis wahr und interessieren sich nicht die Spur dafür, dass das Dingens im Wesentlichen aus interessanten SoftwareLibre/OpenSource-Komponenten gebaut ist - weil sie eben das Ergebnis interessiert, nicht die Bauteile.

(c) Die Wahrnehmung entgleitet, wie leider häufiger bei FLOSS: Es braucht eine gewisse Frickelei, um (jeweils für sich hinreichend komplexe) generische Einzelkomponenten zusammenzuschalten, um ein Ergebnis zu erzielen, das einigermaßen funktioniert und immer noch im Blick auf Usability, Wartbarkeit, ... hinter einer auf den Anwendungsfall optimierten Lösung zurücksteht.

Zu gpg bin ich extrem skeptisch; die Leute in meinem Umfeld, die sich professionell mit Kryptographie beschäftigen (Forschung, professioneller Einsatz), äußern immer mal wieder mehr oder weniger lautes Unverständnis, wieso das noch jemand ernsthaft für relevante Use Cases nimmt. Ein paar Gründe dafür finden sich u.a. hier:

https://latacora.micro.blog/2019/07/16/the-pgp-problem.html

Ich bin nicht tief genug drin, um _alle_ der Argumente zu verstehen, aber zumindest einen Großteil - und außerhalb von Use Cases im FLOSS-Umfeld kenne ich derzeit niemanden mehr, der gpg wirklich nutzt. Insofern wäre vielleicht auch gut, hierfür nicht allzu laut zu werben. ;)


Dass ein einzelner Mensch bis auf den Maschinencode runter alles
versteht halte ich eh für ausgeschlossen. Ich würde mich aber damit
zufrieden geben wenn ich der Sicherheit des Systems genau so vertrauen
kann wie der Sicherheit der Kombination von git, gpg und tor.

Hier möchte ich deutlich mehr Sicherheit. Bei diesem Szenario und der damit verbundenen Tragweite denke ich eher in Größenordnungen von Software für Flugzeuge oder medizinische Anwendung: Maßgeschneiderte Spezial-Lösungen, die per Vorgabe sowohl "Open Source" als auch formal verifizierbar sein müssen, die einen sehr klar beschriebenen Anwendungsfall haben und bei dem leicht(!) zeigbar ist, dass sie diesen Anwendungsfall sicher abbilden. Die Komplexität der benannten Tools selbst, zusammen mit der Komplexität des von Dir beschriebenen Prozesses, scheint mir dort unbeherrschbar.



Einfach bedeutet für mich zweierlei:

1. Einfach bedienbar (möglich über ein optionales GUI-Frontend)
2. Einfach verständlich (Rückführbarkeit auf etablierte Tools und
Prinzipien)

Zustimmung zu (1) unter der Maßgabe, dass das Frontend nicht optional, sondern verpflichtend ist.

Widerspruch zu (2). Das klingt sehr nach Golden Hammer. Warum? Warum, wenn wir FLOSS wollen, für diesen Use Case nicht eine dedizierte Software planen und bauen, statt Tools zusammenzuklemmen, die für etwas anderes gedacht sind, die relativ viel Angriffsfläche (durch Codebasis, Abwärtskompatibilitäten, potentielle Fehlbedienung, ...) bieten und von denen es einen Großteil der Funktion hierfür vermutlich nicht braucht?




Sehr viel niederschwelliger
als Zettel und Stift geht es im Moment kaum...

Dieses Medium steht während der Pandemie voraussichtlich nicht zur
Verfügung. Bzw. wenn doch (Briefwahl), muss man für Auszählung und
Sicherung der Anonymität wieder ziemlich viel Vertrauen in die
Akteur:innen stecken.
>

Meine Eltern wohnen wie leider zu viele in DE in einem "weißen Fleck". Dort gibt es kein mobiles Internet, eine sehr dünne Leitung von der Telekom, und wenn alle im Ort online sind, wird die schleichend langsam und bricht gelegentlich auch mal zusammen.

Wenn wir "digitale" Wahl wollen, dann müssten wir dieses Problem in der Breite vorher lösen. Das sehe ich in realistischer Zeit nicht.

Viele Grüße,
Kristian
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