Hi Michael,

Du schriebst:
> Hier kommen wir, glaube ich, zum Kern des Diskurses: Es geht nicht um
> die Freiheit des Produktes, sondern die Verfasstheit des Projektes.
> 
Exakt.

> Es gibt nicht einen Idealtypus, dem sich alle Projekte Freier Software
> anzunähern hätten, sondern jedem Projekt ist es aufgegeben, seine eigene
> Organisation zu finden, ohne dass ihm dabei andere Projekte zwangsläufig
> Ziel oder Richtschnur sein könnten.
> 
Das habe ich nicht bestritten, aber siehe unten.

> > Bei OpenOffice.org darf man in den Sourcecode schauen, 
> 
>  Naja wie go-oo beweist, darf man schon etwas mehr ;-).
> 
Die obige Formulierung ist vielleicht ein bisschen spitzfindig, aber 
so w"ortlich gemeint. Wer etwas innerhalb des OOo-Daches tut, muss 
sich an von Sun kontrollierte Regeln halten. Der Rest f"allt unter 
die von Dir genannten Rechte bei Freier Software (und in diesem 
Zusammenhang gab es ja die eine oder andere Sorge bzgl. Trademark-
verwendung).

> > die eigentlichen, wichtigen Entscheidungen werden aber in Hamburg 
> > getroffen - [...]
> > 
> Auch hier ist IMO ein Wandel im Gange, OOo ist meiner Meinung nach auch
> für die Menschen in Hamburg ein Lernprozess, der keineswegs als
> abgeschlossen betrachtet werden kann und auch ein jeweils individuelles
> Tempo hat.
>
Nach mehr als acht Jahren?! 

> Dennoch rechne ich es den Verantwortlichen bei SUN hoch an, dass sie
> sich für diesen keineswegs selbstverständlichen und einfachen Weg
> entschieden haben.
> 
Definitiv. Es gibt Sun aber auch eine ganz besondere Verantwortung,
als Treuh"ander der aggregierten Rechte.

> Abgesehen von den beiden Beispielen, die Florian genannt hat, ist IMO
> auch die Möglichkeit Extensions ein Beispiel, dass SUN in einem weiten
> Bereich die Kontrolle abgibt.
> 
99,9% aller Bugs und 95% aller gew"unschten Features sind nicht ohne
Arbeit an der Core zu machen, bei den allermeisten wird sogar der
L"owenanteil im Corebereich liegen. Insofern ist der zitierte Satz
stark "ubertrieben (dazu kommt, dass die Projektkultur nat"urlich
auch auf die Extension-Entwicklung abf"arbt, in etlichen
Dimensionen).

> > [zu wenige Core-Entwickler]
> 
>  Ich gebe an dieser Stelle zweierlei zu bedenken:
> 1. Welche Beiträge Red Flag 2000 und IBM leisten können und werden, kann
> sich erst in Zukunft erweisen.
>
Aufgrund welcher Tatsache sollte sich das denn Deiner Meinung nach
"andern?

> 2. Für junge Leute mit entsprechenden Fähigkeiten hat meiner Erfahrung
> nach eine Office-Suite wenig Sexappeal, sie bringen sich oftmals lieber
> in "angesagtere" Projekte ein, wobei Ausnahmen eher die Regel
> bestätigen. Das scheint mir ein Thema zu sein, über das unabhängig von
> der "Macht" von SUN nachgedacht werden muss.
> 
Es gibt gen"ugend Anwendungssoftware (die in der Tat eher weniger
Zulauf haben als systemnahe Software), die komplett von Freiwilligen
getragen wird. Das kann also keine alleinige Erkl"arung sein.

> Zum SCA erlaube ich mir die in einem anderen Thread behandelten FAQ
> (wiki-Version) zu zitieren:
>
> [Gr"unde, warum SCA notwendig ist]
>
Nee. All das bedingt in *keiner* Weise, dass _Sun_ der Copyright
Holder sein muss. 

> Übrigens musste auch Michael Meeks im Standard-Interview auf Nachfrage
> zugestehen, dass auch sein Arbeitgeber in "dessen" Projekten ähnliche
> Rechteübertragungen zur Voraussetzung einer Mitarbeit macht.
> 
Du meinst das Mono-Projekt? Naja, das betrifft den JIT, <20% des Mono-
Sourcecodes, und im Vergleich zu einem kompletten Linux-Desktop Peanuts.
Aber in der Tat sollten auch die Jungs das mal "uberdenken... ;)

Abgesehen davon: was hat Mono mit OOo zu tun? Es geht doch hier wohl
darum, was das Projekt langfristig weiter bringt, nicht welche Firma
was, wann, wo vielleicht mal falsch gemacht hat...

> Visionen sind für ein Projekt existentiell. Dabei ist Phantasie gefragt.
>  "OOo sollte werden wie Debian oder wie das Linuxkernelprojekt oder wie
> ... " erscheint mir da zu einfältig.
> 
Stimmt. Hab' ich aber auch nicht gesagt. ;)

> Niemand kann bestreiten, dass die Kommunikation zwischen SUN und der
> Community noch verbessert werden kann. Ich meine aber, dass
> diesbezüglich seitens der SUN-Mitarbeiter eine große Bereitschaft
> vorhanden ist. Dies gilt auch für das Einbeziehen der Community in
> Entscheidungsprozesse beispielsweise bei der Freigabe von Releases.
> 
Du denkst zu sehr in den gesteckten Grenzen. Wie Du selber sagst,
geht es um die Verfasstheit des Projektes, und nicht um die Details
der Ausgestaltung der jetzigen Verfasstheit. Und diverse Leute
(Michael eingeschlossen) haben OOo mit anderen Projekten verglichen,
die deutlich erfolgreicher in der Rekrutierung von Entwicklern sind
und waren. Die sich alle in wesentlichen Punkten in der Governance
von OOo unterscheiden. 

Wir haben es jetzt mehr als acht Jahre auf "unsere" Art und Weise
versucht, und konnten die Zahl der Entwickler, die aktiv an unserer
Codebasis arbeiten nicht erh"ohen (wohl aber die Anzahl Codezeilen,
die es zu pflegen, und die Anzahl Bugs, die es zu fixen gilt). Ich
finde es daher durchaus angebracht, das System als Ganzes zu
hinterfragen - und was k"onnten wir besseres tun, als uns von
Projekten leiten zu lassen, die diesbez"uglich erfolgreicher waren? 

Gruss,

-- Thorsten

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